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(Reise)Blogger und der Rassismus-Stempel

Juli 25th, 2016 | Posted by Ines Laufer in Allgemein | Blogger | Stigmatisierung

453339_original_R_K_B_by_Rainer Sturm_pixelio.de-1200Von guten Bloggern und bösen „Rassisten“. Oder etwa umgekehrt?

Nun ist er auch in der Bloggerszene angekommen: Der Rassismus-Stempel. Dort liegt er in den untersten Schubladen – aber dort immerhin ganz oben – stets griffbereit, um nach Belieben für Ansichten, Meinungen, andere Menschen und Blogger zum Einsatz zu kommen, Diskurse nachhaltig zu vergiften sowie Denk- und Sprechverbote zu erteilen.

Auch ich habe ihn erhalten, diesen Stempel. Also – nicht in einer Schublade – sondern als Label auf meinem Reise-Blog. Und auf mir. Das Vergehen: In einer Artikel-Trilogie über „Reisen und die Sache mit der Ethik„, „Reisen und die Sache mit der Toleranz“ und „Reisen und die Sache mit der Empathie“ habe ich dargelegt, warum bestimmte Länder besser auf eine Reise-No-Go-Liste gehören – zum Schutz der eigenen Würde als Reisende/r und als Chance für gesellschaftliche Veränderung.

Von diesen Ausführungen fühlten sich in einer Facebookgruppe ein paar Alt-Blogger – die eben jene No-Go-Länder toll finden – arg auf den Schlips getreten. Dürftigen Argumenten folgten jede Menge persönliche Anwürfe in einer ideologisch aufgeblähten Diskussion – und Zack!- kassierte ich den Rassismus-Stempel, wurde aus der Gruppe verbannt und inspirierte die wackeren Antirassismusfighterinnen zur Gründung einer neuen Krümelgruppe mit dem kreativen Namen „Blogger gegen Rassismus“. Als Beiträge „gegen Rassismus“ finden geneigte Leser dort u.a. Artikel über eine „Toilettenfrau, die mich lehrte, einen Nijab richtig zu binden“ oder Erläuterungen, warum es moralisch vertretbar sei, in den Iran zu reisen sowie Unterweisungen in politisch-korrektem Neusprech zur Vermeidung „rassistischer Formulierungen“ bei Blog-Artikeln.

Hauptsache „gegen Rassismus“ – und was „Rassismus“ ist, bestimmen wir!

Nun beruht die inflationäre Verteilung des Rassismus-Stempels keineswegs auf einer klaren Begriffs-Definition, sondern wie die WiWo-Journalistin Bettina Röhl treffend feststelltBildschirmfoto 2016-07-15 um 15.35.30 (1)

„Da es nun eine beliebige Anzahl von Rassismusdefinitionen gibt, die von einer beliebig großen Zahl von Menschen gegen eine beliebig große Zahl von Menschen lautstark eingesetzt werden kann, lässt sich immer, überall und gegen jeden, der einem nicht passt, ein Rassismusvorwurf formulieren.“

Da kann man sich richtig gut fühlen, auch wenn man sich mit dieser Selbsteinschätzung „diametral irrt“.

So bleibt denn bezeichnenderweise auch besagtes Grüppchen in seinem Intro die Erklärung schuldig, was genau es denn unter „Rassismus“ versteht – was nicht heißt, dass es keine klare Vorstellung davon hätte – denn in ihren Kommentaren werden Gründerinnen und Mitglieder durchaus deutlich.

Da heißt es zum Beispiel als Reaktion auf einen Artikel der TaskForce über die Vermeidung von Ägypten als Urlaubsland, in dem die 90% der Menschen, die dort ihren Töchtern brutal die Genitalien herausschneiden (lassen) folgerichtig als „Gewalttäter“ bezeichnet werden:

„92% Gewalttäter? Das kann ja nur jemand schreiben, der null Ahnung hat. Wenn es so eine schlimme Tradition dort gibt, dann sind das keine Gewalttäter, sondern Menschen, der einer überkommenen Tradition anhängen. Ich war schon einige Mal in Ägypten und bin dort nie irgendwelchen Gewalttätern begegnet. 
Ich finde solche Äußerungen grundsätzlich für falsch und rassistisch…“

Aha! Es ist also „rassistisch“, Gewalttäter als Gewalttäter zu benennen, wenn sie das Verbrechen, das sie verüben, quasi als „Tradition“ betreiben?! Interessante Definition, wirklich. Davon abgesehen dachte ich immer, einen Gewalttäter zeichne das aus, was er tut – und nicht seit wann und wie lange.

Die gleiche Rassismushygienikerin (1) will auch in den scharfsinnigen Einlassungen einer Bloggerin mit japanischen Wurzeln, Mayumi, zum Thema Islam, Scharia und Kopftuch „Rassismus“ erkennennicht ohne „es äusserst schade (zu finden),…von einer angeblichen Buddhistin solche unreflektierten und dummen Äußerungen“ zu lesen. Das nenne ich mal Diskussionskultur! Wer in dem verlinkten Artikel einen validen Beleg für „Rassismus“ findet – der/dem danke ich für einen entsprechenden Kommentar.

Eine weitere „Bloggerin gegen Rassismus“ geht ins Detail, was denn nun konkret an meinen Artikeln „rassistisch“ sei und erklärt einer angehenden Bloggerin:

„Hast du das Kommentar zb gefunden, wo sie erzählt sie hätte in Dubai aufn Flughafen nur männer mit ihrem Harem und Sklavinnen gesehen? 
War 20 min da und weiß ganz genau, dass alle Frauen unterdrückt werden…Diese ganzen pauschalisierungen, der Islam ist scheiße bla bla…Asiaten sind übrigens auch scheiße, weil sie Hunde essen. 

und

„Hier kriegt nicht alles den Stempel Rassismus aufgedrückt, aber zu erzählen alle männer in Dubai haben nen Harem und die Frauen sind alles Sklavinnen. Tut mir leid, wo ist das nicht rassistisch? 
Und nur weil jemand nen kopftuch trägt wird die Person auch nicht gleich unterdrückt. Stell dir vor in dtl gibts eine die kämpft für Frauenrechte und oh gott, die trägt nen kopftuch. Skandal! …Und Ulrike war ja auch gleich die böse, weil sie mal Hund gegessen haben. Weil natürlich alle Chinese böse hundequäler sind und das quälen zum hundetöten dazugehört.“

Die Empörung, die sich hier in bemerkenswerter Orthografie und Grammatik entlädt, bezieht sich auf meine Ausführungen in „Reisen und die Sache mit der Ethik“ und „Reisen und die Sache mit der Empathie“ (persönliche Beobachtung am Flughafen in den UAE).

Ich frage mich, ob die plumpe Verallgemeinerung meiner Fakten auf „alle Männer“, „alle Chinesen“ usw. einer böswilligen Fehlinterpretation und vorsätzlichen Beleidigung des Intellekts oder einfach einem schlichten Gemüt geschuldet ist. Gerade wem „Differenzierung“ angeblich wichtig ist, ist „Pauschalisierung“ wohl gerade recht, wenn es um die Platzierung des „Rassismus-Stempels“ geht.

Die Mehrheit der Leser dürfte erkennen, dass die von mir beschriebenen Kriterien natürlich nicht von „allen Menschen“ verübt, geduldet, gut geheißen werden müssen, um auf der No-Go-Liste zu landen. Dafür genügt eine erhebliche kollektive Beteiligung und/oder staatliche Legitimation, auch wenn das so mancher „Bloggerin gegen Rassismus“ nicht einleuchten mag und sie mit der Feststellung aufwartet, 10 Millionen in China für den Verzehr totgequälte Hunde seien ja nun wirklich keine Aufregung wert, denn auf jeden Chinesen käme dabei gerade mal ein kleines Stück Hund. Soso. Womöglich kommen am Ende mit dem letzten Fünkchen Empathie auch ein paar Tassen im Oberstübchen abhanden…

Mit einem lauten Aufschrei der „Blogger-Community“ wurde der Rassismus-Stempel kürzlich auch einer jüdischen Bloggerin verpasst, die in Israel einschlägige Erfahrungen mit tödlichem Terror und Krieg machen musste, verübt von arabischen Muslimen. 
IMG_1814_1Bloggerinnen eines etablierten Reiseblogs waren in Schnappatmung geraten, weil sie in einem Artikel mit dem Titel „Why I completely hated Oslo“ ihre Angst schilderte, die sie in einer Gegend überkommen hatte, in der sie plötzlich nur noch von „arabisch aussehenden Männern“ umgeben war. Sie hatte daraufhin die Besorgnis geäußert, Oslo werde von „arabischen Refugees“ überrannt.

Nun vermute ich, dass das Erlebnis der Bloggerin gar nicht der aktuellen Flüchtlingswelle zuzurechnen ist, sondern sie ganz einfach in Grønland gelandet war – einem Viertel im Zentrum von Oslo, in der Nähe des Hauptbahnhofes und des Regierungsgebäudes, in dem sich schon seit Jahren eine Parallelgesellschaft etabliert hat, die nicht nur optisch „muslimischer ist als Marokko“, wie die Marokkanerin Fatima Tetouani der Tageszeitung Aftenposten schildert. Scharia-Polizei und Kapitulation der staatlichen Gesetzeshüter haben das Gebiet in ein islamisches No-Go-Area verwandelt, wie wir sie in wachsender Zahl aus Schweden kennen. Oder Duisburg Marxloh oder Molenbeek, oder oder…

Es bedarf dabei lediglich rudimentären Wissens über PTBS, Trigger und die Wucht von Flashbacks, um eine Ahnung zu bekommen davon, was in der jungen Frau in diesem Umfeld vorgegangen sein mag.

Die Selbstgefälligkeit, mit der sich die Bloggerinnen nun gegenseitig für ihre Erkenntnis abklatschen, es hier mit einer waschechten Rassistin zu tun zu haben, spricht Bände. Da kann man schon mal verständnislos reagieren, wenn die Bloggerin sich nicht artig bedankt für den Hinweis „rassistisch“ zu sein – denn das wäre ja das Mindeste. Mehr noch, die wagt es tatsächlich, den Überbringerinnen des Rassismus-Labels den so offen dargebotenen „konstruktiven Dialog“ zu verweigern. Wie infam!

Reisen um jeden Preis – der Rest ist uns Sch…egal!

Zur gleichen Zeit lässt sich eine andere Schreiberin der gleichen Blogger-Clique, die gerade fleißig den Rassismus-Stempel an die Jüdin verteilt, zu Marketing-Zwecken auf die Faröer-Inseln einfliegen, nachdem sie die schon als „featured destination of the month“ promotete. Dort hat gerade das brutale Abschlachten hunderter Grindwale und Delfine begonnen – mit Unterstützung der dänischen Regierung, obwohl das Töten von Walen in der EU nach dem Berner- und Bonner Abkommen verboten ist.

Zu den blutigen Spektakeln in den Buchten der Insel, bei denen ganze Walfamilien ausgelöscht werden, werden selbst Kinder mitgeschleppt – wohl, um ihnen schon von klein auf das Mitgefühl für die Tiere abzugewöhnen. Kritikern der Massaker wird gedroht und auch schon mal Gewalt angewandt. Dabei ist das Fleisch der Wale so vergiftet mit Quecksilber und anderen Schadstoffen, dass es nicht nur ungenießbar ist sondern in der EU als Sondermüll entsorgt werden müsste. Das Schlachtfest ist daher nicht nur grausam und sinnlos sondern auch den Menschen – gerade den Kindern – gesundheitlich abträglich.

Farues

577e84d1c46188c2478b45c1Als Antwort auf einen rasch anwachsenden Shitstorm bei Facebook verfasste die Bloggerin eine verschwurbelte Rechtfertigung ihrer Reise, in der sie durch Abwesenheit von Argumenten glänzt. Mit dem Finger auf „andere Länder“ zu zeigen, ist ein billiger Versuch, vom Fehlen eigener ethischer Prinzipien abzulenken. Es zählt nicht, diese sinnlosen Greuel zu relativieren, nur weil anderswo andere begangen werden.

Mit der Attitüde einer egoistischen, verzogenen Göre, die für die Meinung anderer nur müdes Desinteresse übrig hat, besteht sie darauf, auf den Faröern in eine Wolke „persönlicher Glückseligkeit“ einzutauchen. Was rundherum geschieht – egal. Egomanie und Abspaltung in Reinform. Die ganze Verlogenheit und Feigheit ihrer Haltung sowie eine ordentliche Portion Selbstüberschätzung offenbart sich in einem Satz:

„The best way to understand a local tradition is to witness it yourself – not that I’m actually intending to do anything like attending the Gridadrap as a spectator, but I’ll try to do the next best thing and speak to locals about it.“

Denn gar nichts wird sie „bezeugen“, wenn sie zu feige ist hinzuschauen. Und die Einheimischen warten sicher nur darauf, dem Gör ihre Sicht jener Dinge zu schildern, von denen sie Kritik mit aller Macht fernhalten wollen.

Dabei wäre es so einfach, Vorbild zu sein und den 250.000 Facebook-Followern zu erklären: Ja, ich habe eine Einladung dorthin erhalten. Ja, ich würde gerne annehmen. Aber nein, ich lehne dankend ab, weil der Gedanke abstoßend ist, Natur genießen zu wollen, wo um die Ecke hunderte Wale massakriert werden entgegen internationaler Abkommen. 

Das wäre menschlich, empathisch und ein Zeichen von Courage und Größe. Eine Einladung an Andere zum Nachdenken und Nachmachen und ein klares Signal an die Faröer sowie an Dänemark. Chance verpasst!

Zwei Seiten der gleichen Medaille

Nun ist es kein Zufall, dass die Rassismus-Vorwürfe gerade von den Vertretern der „Mir-egal-ich-will-reisen“-Mentalität verteilt werden. Denn sie zeigen zwei Seiten der gleichen Medaille einer an Dekadenz, Denkfaulheit, Vergleichgültigung und zunehmend an Bequemlichkeitsverblödung leidenden Gesellschaft.

Der Rassismus-Stempel soll Kritiker und Mahner davon abhalten, die pseudo-toleranten Weltenbummler – deren Reiserausch weder die repressivste Diktatur noch das widerlichste Kollektivverbrechen zu bremsen vermag – in den Spiegel ihrer geistigen und moralischen Verkommenheit blicken zu lassen.

Er soll darüber hinwegtäuschen, dass jeder Pauschaltourist – den sie im Grunde ihres Herzens zutiefst verachten – mit mehr Anstand und ethischen Werten agiert als sie, denn der versucht wenigstens nicht krampfhaft, seine Gleichgültigkeit unter dem Deckmäntelchen vorgetäuschter Toleranz zu kaschieren.

Andere als Rassisten abzustempeln ist in diesem Fall – und überhaupt oft genug – der armselige Ersatz für schlüssige Argumente und sachlichen Austausch und keinesfalls Indiz für einen tatsächlichen Rassismus des Gegenübers.

Insofern beeindruckt mich dieser Stempel aus den Händen besagter Blogger herzlich wenig und wird mich nicht davon abhalten, auch in Zukunft Reiseländer und Reiseverhalten kritisch unter die Lupe nehmen.

(1) Danke an Bettina Röhl für diese treffliche Wortschöpfung.

 

Fotos: (c) Rainer Sturm/pixelio.de, wouldworld.com, Sea Sheperd (2), Screenshot Facebook

 

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