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FGM: Warum Informationskampagnen keinen Opferschutz bringen

August 3rd, 2011 | Posted by Ines Laufer in Allgemein | Entwicklungshilfe | Kommentare

Seit Jahrzehnten propagieren und finanzieren Nichtregierungsorganisationen, Aktivisten und Politiker die Strategie der “Information und Aufklärung” als Maßnahme, um  die Gewalt der Genitalverstümmelung zu beenden:

Indem Bevölkerung und Regierung  in den Verstümmelungsländern – aber auch Migranten hier in Europa – über die schädlichen Folgen der Genitalverstümmelung “informiert und aufgeklärt” werden, sollen sie davon überzeugt werden, künftig ihre Töchter unversehrt aufwachsen zu lassen.

Diese Strategie hat einen Haken: 

Sie funktioniert nicht.  Sie kann nicht funktionieren – denn sie basiert auf der irrigen, falschen Annahme, dass diejenigen, die ihre Töchter verstümmeln lassen aus Unwissenheit oder mangelnder Bildung handeln.

Es  wird  ein fatales, verzerrtes Bild vermittelt, das den Tätern “Unschuld aufgrund fehlender Bildung bzw. Kenntnis” unterstellt und  ihnen die  Verantwortung für das Verbrechen gegen die eigenen Kinder abspricht. Gleichzeitig wird mit diesem “Aufklärungs-Ansatz” das Wesen von Genitalverstümmelungen als systematische Gewalt mit dem Ziel der Unterdrückung und Kontrolle der weiblichen Mitglieder der Gesellschaft verschleiert und negiert.

Wir können heute mit empirischen Fakten und Daten belegen, dass diejenigen, die Genitalverstümmelungen verüben, keineswegs ungebildet und unwissend sind:

Die gebildeten Eliten mit den höchsten sozialen Standards verstümmeln ihre Töchter im gleichen oder sogar größeren Ausmaß wie Vertreter der untersten und ärmsten sozialen Schichten der Gesellschaft.

Einige Beispiele:

Im Sudan bleibt nach 70 Jahren “Aufklärungs- und Informationskampagnen” die Verstümmelungsrate konstant bei 89%: In den Familien mit der höchsten Bildung werden 3% mehr Mädchen verstümmelt als in den ungebildeten. In der reichsten Schicht der Gesellschaft werden sogar 20% mehr (!) Mädchen Opfer der Verstümmelung als in der ärmsten Unterschicht.

In Äthiopien ist die Verstümmelungsrate in den Städten einschließlich Addis Abeba 20% höher als auf dem Land. In hochgebildeten Familien werden 80% der Mädchen verstümmelt und somit nur 2% weniger als in völlig ungebildeten.

In Ägypten besteht so gut wie kein Unterschied: Fast jedes Mädchen (92%) in den hochgebildeten Familien wird genital verstümmlt. Und 75% der Verstümmelungen werden von gebildeten Medizinern verübt (vor allem Krankenschwestern), die sich aus persönlichen monetären Interessen für die Weiterführung der Verstümmelungen einsetzen.

In Europa werden die Verstümmelungen quasi unvermindert weitergeführt – bis zu 80% der Mädchen (insbesondere in den Hochrisikogruppen) werden “vor unserer Haustür” verstümmelt, obwohl die Täter angeben, über die Strafbarkeit der Tat und die gesundheitlichen Folgen informiert zu sein.

Die Schlussfolgerung aus diesen Erkenntnissen ist so zwingend wie einfach: Genitalverstümmelung muss endlich als das benannt und behandelt werden, was es ist: Ein Verbrechen – ein Akt der Gewalt, Herabwürdigung und der Respektlosigkeit gegenüber den eigenen Kindern, dessen Täter keine Opfer (von Unwissenheit, Armut o.ä.) sind, sondern eben voll verantwortliche Täter.

Sie handeln keineswegs aufgrund mangelnder Bildung oder fehlender Erkenntnis, sondern begehen diese Taten – wie alle Gewalttäter –  um ihre eigenen ideologischen, persönlichen und materiellen Interessen gegen die der Opfer  durchzusetzen – in vollem Bewusstsein der Folgen.

Die Weltöffentlichkeit muss endlich aufhören, der Verstümmelungsgewalt einen Kultur-Rabatt einzuräumen und stattdessen beginnen, Genitalverstümmelung und die Täter ohne wenn und aber zu kriminalisieren und zu ächten, z.B. durch die Umsetzung effektiver Möglichkeiten der Strafverfolgung insbesondere der anstiftenden Familien sowie Sanktionen gegen jene Entscheider, die nicht bereit sind, die Beendigung der Verstümmelungen in ihren Gemeinden/Communities durchzusetzen. Nicht zu vergessen sämtliche muslimischen Kleriker (z.B. Shafi’iten), die bislang ohne den empörten Aufschrei der Öffentlichkeit zur Verübung dieser Verbrechen anstiften.

Es wird höchste Zeit, die exotistisch-rassistische Doppelmoral der westlichen Organisationen und Politiker zu entlarven und zu überwinden, mit der sie die Verstümmelungstäter unterschätzen und entmündigen und der Welt suggerieren, die Täter wüssten gar nicht, welches Leid sie ihren Kindern mit der Verstümmelung antun:

Denn zum einen werden  durch diese Darstellung  die Vetreter der Verstümmelungs-Kulturen als rückständige, unwissende  aber eigentlich gutmeinende  Minderbemittelte   dargestellt,  jeglicher Verantwortung für ihre bestialischen Verbrechen enthoben.

Gleichzeitig  machen sich  Politiker und NGOs die irrsinnigen Rechtfertigungen der Verstümmelungen zu eigen, um die Tat und die Täter (denen “beste Absichten” zugesprochen werden) – und vor allem ihre resultierende Nicht-Intervention –  zu entschuldigen: Auf diese Weise  führt das rassistische Konzept der “rückständigen, unwissenden Anderen” zur Komplizität mit den Tätern  – mit dem Ergebnis, eben jene “rückständigen” Strukturen zu festigen und nachhaltige Entwicklung zu verhindern.

Die westliche (Innen- und Entwicklungs-) Politik, die ausschließlich  auf “Aufklärung und Information” setzt, macht schlichtweg “die falsche Baustelle auf” und kurbelt auf diese Weise  die Gewaltmechanismen weiter an. Sie richtet sich  maßgeblich gegen die (potentiellen), akut gefährdeten  Opfer, denen konsequenter  Schutz, grundlegendste Rechte und Gerechtigkeit verweigert werden.

Foto (c) Flickr/IRIN News

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